Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: aussetzen, aber nicht abbrechen

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In dieser Woche hat das Europäische Parlament den Fortschrittsbericht zu den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei debattiert. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass sie ausgesetzt werden.

Unter Federführung der ständigen Berichterstatterin für die Türkei, der niederländischen Sozialdemokratin Kati Piri, hat das Europäische Parlament im neuen Bericht den Fortschritt bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bilanziert. Am Mittwoch wurde der Bericht mehrheitlich vom Europäischen Parlament verabschiedet, welches sich damit ebenso für die formale Aussetzung der Beitrittsverhandlungen ausgesprochen hat.

Seit 2016 wurden in der Türkei laut Human Rights Watch mehr als 150.000 Personen aus zweifelhaften Gründen in Polizeigewahrsam genommen. Das betrifft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Regierung, Akademikerinnen und Akademiker, Medienschaffende und Geschäftsleute. Der aktuelle Bericht nennt beispielhaft einige Fälle namentlich, wie den von Oman Kavalas, der wegen seines Engagements bei den Gezi-Protesten kürzlich zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, oder die Fälle des Cumhurriyet-Chefredakteurs Can Dündar sowie des im Gefängnis sitzenden ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der HDP, Selahattin Demirtas. 78.000 Personen wurden aufgrund von Terrorismusvorwürfen festgenommen, etwa 180 Medienkanäle geschlossen.

Die Situation wird zunehmend schlimmer und es besteht mittlerweile kein Zweifel daran, dass mit der jetzigen Regierung der Türkei weitere EU-Beitrittsgespräche kaum noch sinnvoll sind.

Bereits im letzten Bericht 2017 hat das Europäische Parlament angekündigt, die Verhandlungen aussetzen zu wollen, sollte die auf den türkischen Präsidenten zugeschnittene Verfassungsreform in der Türkei durchgesetzt werden. Das ist mittlerweile geschehen. Es wäre deshalb nur konsequent, die faktisch seit 2014 stillstehenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auch formal bis auf Weiteres auszusetzen. Bei aller Härte in dieser Frage: Gänzlich beenden sollte die EU die Beitrittsverhandlungen aber nicht. Die Türkei bleibt ohnehin EU-Beitrittskandidat, denn die Kandidatur kann nur seitens der Türkei aufgehoben werden. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben uns dafür stark gemacht, dass die Tür für weitere Zusammenarbeit mit der Türkei zumindest "angelehnt" bleibt. Wir haben uns auch mit der Zivilgesellschaft und den demokratischen Kräften solidarisiert. Die Zivilgesellschaft in der Türkei muss gerade jetzt umso mehr unterstützt werden, indem etwa Teile der Gelder, welche die Türkei als Beitrittskandidat über die sogenannte Heranführungshilfe erhält, direkt an zivilgesellschaftliche Organisationen fließen. Gleichzeitig müssen wir der türkischen Regierung signalisieren: Die Tür zu Verhandlungen steht weiterhin offen, wenn die Türkei nur deutlichen Willen und klare Verbesserung bei Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechtslage zeigt. Dies habe ich auch in meiner Rede zu diesem Tagesordnungspunkt deutlich gemacht.

Beides im Einklang zu halten - das konsequente Verteidigen der roten Linien bei Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten, sowie das Offenhalten der Tür für Beitrittsverhandlungen bei einer Verbesserung der Situation - trägt maßgeblich zur Glaubwürdigkeit des Europäischen Parlaments bei.

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